Seine Hand strich sachte über das weiße Blatt Papier. Es war leer. Konzentriert nahm er seinen Bleistift in die Hand und betrachtete ihn behutsam von allen Winkeln.
Hatte er Ahnung, was er in Lauf setzen würde, wenn der Bleistift zum ersten Mal das Malpapier berührt hatte?
Langsam, aber sicher über Jahre hinweg, enstand das R…ätsel das die Welt einmal auf den Kopf stellen sollte.
Einzigartig ist sie. Die Mona Lisa. Absolut einzigartig, gesichert und verschlossen hinter kugelsicherem Panzerglas.
Unglaubliche Fazination, geprägt durch ihr geheimnisvolles Lächeln auf dem Ölgemälde.
Und Menschen? Ist nicht jeder von uns auch einzigartig? Sollte nicht jeder von uns auch so wertvoll behandelt werden wie die Mona Lisa?
So müsste es doch eigentlich sein, wenn jeder von uns einzigartig ist.
Sofort fällt mir der erste Artikel im Grundgesetzbuch ein:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Dieser Artikel scheint fragwürdig zu sein, wenn man einen Blick in unsere wunderbare Welt wirft.
Denn dann dürfte es, könnte es doch gar nicht sein, dass Menschen hungern müssen, da jeder doch alles und noch viel mehr besitzen müsste.
Denn dann dürfte es, könnte es gar nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer politischen, religiösen, oder ethischen Einstellung verfolgt und gefoltert werden.
Dann dürfte es, könnte es doch gar nicht sein, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe
wertvoller, bzw. minderwertiger erachet werden, denn ihre Identität wäre unersetzbar und absolut außergewöhnlich.
Müsste nicht jeder von uns auch einen Tresor um sein Herz tragen?
Einen Tresor, der uns vor all den Übeln dieser Welt schützt.
Der uns „unantastbar“ scheinen lässt, der uns wie ein unsichtbares Medaillon Würde verleiht.
Wie kann ein Gemälde wertvoller sein als ein Mensch?
Das Gemälde, das nicht umarmen kann, wenn man Trost braucht.
Das Gemälde, das dich nicht anlächeln und sagen kann: Ich bin da.
Wer würde über Millionen von Euros für den ahnungslosen Waisenjungen opfern, der nichts für sein Schicksal kann?
Ein Mensch, der in Zukunft sogar Trost, eine Hilfe, Liebe in Person sein kann? Wer?
So absurd es doch klingt. Die Mona Lisa, ein Gemälde wird in unserer Gesellschaft mehr geschätzt als der kleine Waisenjunge.
Wo ist denn diese Einzigartigkeit?
Die Mona Lisa besitzt sie.
Warum werden Gegenstände wertvoller erachtet als das kleine Mädchen mit den leuchtenden Augen und dem müden Lächeln, das auf den Straßen der Champs Elysees lebt und um etwas Brot bettelt, jedoch nur ein verhöhnendes Lachen und Speichel auf ihre kleinen weichen Hände gespuckt bekommt?
Solch ein Verhängnis wird sie auf den Händen tragen und durch ihr Leben führen, eingeschlossen mit tiefen Wunden.
Es scheint doch einfach unfassbar zu sein, wie kaltherzig, geizig und arrogant unser Wesen ist.
Die Millionen gehen nicht an den Waisenjungen, nicht an das um Brot bettelnde Mädchen.
Nein, sondern an die Mona Lisa.
Denn das Wesentliche ist wirklich für das menschliche Auge unsichtbar.
Würden wir doch den kleinen Jungen mehr schätzen als das Gemälde.
Einzigartig? Wertvoll?
Nachdenklich stand das junge Mädchen vor der Mona Lisa und betrachte diese.
Die Mona Lisa ist mehr wert, dachte sie abschätzig.
Diese Geschichte wurde mit freundlicher Genehmigung von der Weidigschülerin Farnaz Nasiriamini zur Verfügung gestellt. Sie hat mit diesem Beitrag den dritten Platz beim Weidig-Literaturpreis 2011 der Weidigschule belegt.